Für die Bordbibliothek

16. März 2024
Kategorie: 
Sonstige

Suzanne Heywood: Wavewalker : Breaking Free
(HarperCollins, 2023. 397 Seiten. - ISBN 978-0-00-849849-8, 19,00 €)

Etwa drei Wochen bevor Suzanne Heywoods Autobiografie „Wavewalker : Breaking Free“ auf dem britischen Buchmarkt erschien, stellte der Guardian den Titel Ende März dieses Jahres vor und druckte eine Reihe von Exzerpten im Voraus ab. (https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2023/mar/25/)
Wer je davon ausgegangen war, eine Kindheit auf einem 70-Fuß-Zweimaster sei das Material für eine romantische Erzählung, wurde bereits auf dieser Basis schnell eines Besseren belehrt. Schon die Eröffnung des Plans durch Suzannes Vater Gordon Cook macht deutlich, wie die Entscheidungen und gruppendynamischen Prozesse an Bord später laufen werden:
“'We’re going to follow Captain Cook,' Dad said. 'After all, we share the captain’s surname, so who better to do it?'” Suzanne, damals 6, und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Jonathan, „Jon“, sind vollkommen überrascht. Auf die Frage, warum ausgerechnet sie diese Reise unternehmen müssen, antwortete der Vater: “'Well, someone needs to mark the 200th anniversary of Cook’s third voyage, don’t they?' he said, raising his eyebrows at my mother. 'Of course they do, Gordon,' said Mum, returning his smile."
Ein Vater, der rücksichtslos seinen Kopf durchsetzt; eine Mutter, die ständig seekrank oder sonstwie leidend oder voller Beschwerden ist, ihrem Mann in aller Regel nach dem Mund redet – letztlich aber die Einzige ist, die ggf. Einfluss auf ihn ausüben kann – alle beide Eltern zweier Kinder, die – gegen ihren Willen – nicht nur für drei Jahre, wie ursprünglich geplant, aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden, sondern gleich für ein ganzes Jahrzehnt; Eltern, die sich weder angemessen um das Wohlergehen ihrer Kinder kümmern (von der fehlenden zweiten Rettungsweste in passender Kindergröße bis zur mangelhaften Versorgung ihrer Tochter, nachdem diese bei einer Havarie im Indischen Ozean in 50 Fuß hohen Wellen von einem Teil des herunterstürzenden Decks einen Schädelbruch erlitten hat) noch – obgleich sie obendrein beide Lehrer sind – eine Verpflichtung sehen, ihre Kinder mit einer adäquaten Schulbildung auszustatten: „It is not our job to entertain you, my parents said when I complained about [having nothing to do].“ (Heywood, S. 182)  Sie geben sich nicht nur keine Mühe, vielmehr bremsen sie Suzannes Bestrebungen sogar aktiv aus.
Je älter Suzanne wird, desto mehr nehmen ihre Zweifel zu, dass der Sinn dieses endlosen Törns tatsächlich im Nachverfolgen der dritten Reise Captain Cookes besteht. Der Aufenthalt in der Südsee dauert an, zahlende Gäste werden an Bord genommen, um weiterhin im vermeintlichen Paradies segeln zu können, die Folge von Havarien reißt nicht ab, die Situation zwischen Suzanne und ihrer Mutter spitzt sich zu, Suzanne fühlt sich auf Wavewalker in der Falle, gegen ihren Willen gefangen im Traum ihrer egoistischen Eltern – wer selbst Kinder hat, wird vom anfänglichen ungläubigen Kopfschütteln über das Verhalten von Gordon und Mary Cooke zu veritablem Ärger und Entsetzen übergehen.
Suzanne überlebt die Zyklone, in welche die Familie mit Wavewalker gerät, sie schafft es, sich ein solches Maß an Bildung anzueignen, dass ihr schließlich der Sprung zurück nach England und die Aufnahme an der Universität von Oxford gelingt.
Der Einblick, den der Guardian bot, fesselte mich derartig, dass ich das Buch sogleich vorbestellte. Anfang Mai traf es ein – und im Sommerurlaub war endlich genügend Zeit für die Lektüre. Dabei liest sich dieses Buch so packend, dass einige wenige Tage genügten, um Suzanne Heywood innerhalb von 397 Seiten über zehn Jahre und 47.000 Seemeilen zu folgen. Eine Autobiografie bzw. ein Entwicklungsroman, der übrigens eigentlich zwei Heldinnen hat: Suzanne Heywood und Wavewalker. Die eine setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch und startet in ein erfolgreiches, selbstbestimmtes Leben; die andere trotzt ebenfalls nach Kräften sämtlichen Unbillen, sie bietet die Bühne für das Drama, das sich über 10 Jahre entfaltet, am Ende verliert sich jedoch ihre Spur.
Suzanne Heywoods Erinnerungen sind unbedingt lesenswert, auch wenn sie derzeit noch nicht in deutscher Übersetzung zur Verfügung stehen. 
 
Sehr viel glücklicher verliefen dagegen offenbar die ersten sieben Lebensjahre der Autorin und Journalistin Britta John an Bord der Claudia Quinta – auf dem Wannsee. In ihrem Bändchen
Britta John: Nüscht wie raus aufs Wasser
(BoD, 2023. 90 Seiten. - ISBN 978-3-7347-1600-3, 19,90 €)
setzt sie den Sommermonaten auf den heimischen Berliner Gewässern ein kleines Denkmal. „Oft trug man den ganzen Tag nichts anderes als Badeanzug und Schwimmflügel. […] Nicht nur die Wochenenden, oft wurden ganze Urlaube in den Sommermonaten auf dem Boot verbracht. […] Auf dem Wasser wurde gekocht, gegessen, geschlafen und gefeiert.“ (John, S. 6 f.) 
Thematisch gruppierte Amateurfotografien aus den 1930er bis 1970er Jahren zeigen dieses unbeschwerte Leben von Berliner und Brandenburger Familien auf dem Wasser. Das klare, übersichtliche Layout gibt einem das Gefühl, ein wohlsortiertes privates kleines Fotoalbum in der Hand zu halten. Lediglich einige zusätzliche zeitliche Einordnungen wären zuweilen sehr wünschenswert. – Wer aber diese Zeiten selbst miterlebt oder einfach ein Faible für wassersportbezogene Alltagsfotografien in Schwarz-Weiß hat, dem wird das Büchlein sicher gefallen.